Das Stuttgarter Amtsblatt schrieb in der darauffolgenden Ausgabe: „Fast drei Jahrzehnte war er der Motor Stuttgarts. Er lenkte die Geschicke der Landeshauptstadt Baden-Württembergs mit Umsicht, Tatkraft und unermüdlicher Schaffenskraft. Oberbürgermeister Dr. Kletts Standvermögen war ebenso berühmt wie seine Aktivität, die nur der Tod bremsen konnte. Am Nachmittag des 14. August erlag er während eines Kuraufenthalts auf der Bühler Höhe einem Herzversagen und einer Lungenembolie.“
Klett gestaltete den Aufbau Stuttgarts aus den Kriegstrümmern, die Wiederentstehung der demokratischen Selbstverwaltung auf kommunaler Ebene und die Entwicklung Stuttgarts zu einer der wirtschaftlich erfolgreichsten Großstädte Deutschlands.
Bürde und Würde
Noch vor Kriegsende ließ sich der damals 40 Jahre alte parteilose Rechtsanwalt in der mit Kriegstrümmern übersäten Stadt in die Pflicht nehmen. Französische Truppen hatten am 20. April 1945 die Stadt erreicht – nur wenige Stunden vor den Amerikanern. Der französische General Schwartz beauftragte zunächst NS-Oberbürgermeister Karl Strölin, die Geschäfte weiterzuführen. Jedoch nahmen die Amerikaner Strölin in Haft, der als seinen Nachfolger Arnulf Klett, einen ausgewiesenen NS-Gegner, vorschlug.
Klett hatte als Rechtsanwalt der Verleger der „Alb-Neckar-Zeitung“ am 11. November 1933 eine Denkschrift gegen die nationalsozialistische Gleichschaltung der Presse verfasst. Am 26. November 1933 wurde er verhaftet. Aus dieser “Schutzhaft“ im Konzentrationslager Heuberg wurde er am 10. Dezember 1933 entlassen. Doch Klett vertrat weiterhin als Rechtsanwalt Juden und Kritiker des NS-Regimes.
Bereits am 23. April wurde er von der französischen Militärverwaltung zum Oberbürgermeister ernannt. „Niemand drängte sich nach diesem Amt, das mehr Bürde als Würde versprach“, heißt es im Nachruf im Amtsblatt am 23. August 1974. Die amerikanische Militärregierung löste nach kurzer Zeit die Franzosen ab und bestätigte Klett am 8. Oktober 1945 in seinem Amt.
Im „Nachrichtenblatt der Militärregierung für den Stadtkreis Stuttgart“, wie das Amtsblatt in dieser Zeit hieß, veröffentlichte der Oberbürgermeister einen Aufruf und „Ein Wort an die Stuttgarter“: „Sinnloser Widerstand eines Systems, dessen Träger nie Arbeit geleistet haben, hat unsere schöne Stadt weitgehend in einen Trümmerhaufen verwandelt. Ihrem Aufbau gilt die Hauptsorge aller anständigen Einwohner. Der Fortgang des Aufbaus hängt weitgehend von eigenem Einsatz und eigener Initiative ab (...) Ich bin überzeugt, daß durch Selbsthilfe auch bei bescheidenen Mitteln in harter Arbeit viel geschafft werden kann, und weiß, daß gerade die Stuttgarter mit den altbekannten Schwabentugenden, Fleiß und Zähigkeit, an die Arbeit gehen und damit öffentliche Gemeinschaftsarbeit erleichtern werden!“
Am 19. Juli 1946 wurde Klett von den Repräsentanten der Bürgerschaft gewählt und seine Ernennung demokratisch legitimiert. Die Stuttgarter wählten ihn in der ersten direkten OB-Wahl am 7. März 1948 zum Stadtoberhaupt und bestätigten ihn danach zweimal, am 10. Januar 1954 und am 30. Januar 1966, jeweils auf zwölf Jahre, im Amt.
In den ersten Monaten nach dem Krieg ging es um die Beseitigung der Kriegstrümmer und die Versorgung der Stadt mit Wasser, Lebensmitteln und Energie.
Priorität: Schneller Aufbau
Aus heutiger Sicht können manche Entscheidungen kritisch betrachtet werden, wie etwa der Abriss des Kronprinzenpalais. Als Verantwortlicher für die schnelle Verbesserung der Lebenssituation der Stuttgarter Bevölkerung hatte Klett andere Prioritäten, wie seine Antwort auf einen offenen Brief von Paul Bonatz zeigt: „Die Erhaltung ist dort sinnvoll, wo die geschichtlich gewordene Gegenwart die Zukunft befruchtet, dort aber nicht, wo sie die gegenwärtige und künftige Entwicklung ausschließlich oder überwiegend hemmt. Wertvoller als die beschädigte Fassade des Kronprinzenpalais ist der lebendige Mensch unserer Zeit und unserer Stadt. Diesem haben wir zu dienen.“
In einem am 9. Februar 1948 über Radio Stuttgart verbreiteten Rechenschaftsbericht formulierte Klett die Aufgaben der Verwaltung: „Verwalten heißt heute nicht mehr: Akten bewegen. Verwalten bedeutet heute: Handeln, neue Wege beschreiten, intensiver und mit stärkerem Tempo arbeiten als früher; verwalten bedeutet ganz besonders: Neuen Ideen und Formen aufgeschlossen entgegentreten. Nicht formal nach Aktenlage entscheiden, sondern aus dem Geist der Zeit heraus schöpferisch gestalten, das ist wirklicher Aufbau.“
Allenthalben wurden Kletts unglaublicher Fleiß, seine Tatkraft gelobt, sein Optmismus, mit dem er vom ersten Tag an zu Werke ging – schonungslos gegen sich, ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit. Aber auch seine umgängliche Art und sein Humor dürfen in dieser Aufzählung nicht fehlen. Als „Motor mit Humor“ bezeichnete er sich selbst.
Der damalige Erste Bürgermeister Jürgen Hahn schrieb in seinem Nachruf, so viel Klett von seinen Mitabeitern foderte, so viel Freiheit ließ er ihnen auch.
Allerdings legt eine Äußerung Hahns die Vermutung nahe, dass sich gegen Ende seiner langen Amtszeit Kletts Amtsverständnis von einem sich wandelden Verständnis von Verwaltung unterschied. „Die Wandlungen im Stil der öffentlichen Verwaltung, die Erschwerung schneller Entscheidungen durch Bürgerinitiativen und breite Diskussion in der Oeffentlichkeit, wurden von ihm, dem Mann des schnellen Entschlusses und des schnellen Handelns, zunehmend skeptisch beurteilt. Dem großen Demokraten aus Ueberzeugung, dem aufrechten Nazigegner aus bitterer Lebenserfahrung erschien die Demokratisierung aller Lebensbereiche als Erschwerung tatkräftiger Verwaltungsarbeit“, so Jürgen Hahn, der zehn Jahre lang eng mit Klett zusammengearbeitet hatte.
Freundschaften begründet
Die Völkerverständigung war Arnulf Klett angesichts der Erfahrungen des Krieges ein wichtiges Anliegen. Bereits 1948 wurde die Partnerschaft mit St. Helens besiegelt, 1950 mit Cardiff, 1960 folgte St. Louis – allesamt ehemalige Kriegsgegner. Besonders lag ihm die Freundschaft zu Frankreich am Herzen. Am 26. Mai 1962 unterzeichnete er in Stuttgart zusammen mit dem Straßburger Oberbürgermeister Pierre Pflimlin die Partnerschaftsurkunde – ein Jahr, bevor der Elysée-Vertrag die offizielle deutsch-französische Freundschaft besiegelte.
Arnulf Klett gilt auch heute noch als unermüdlicher Macher, der sich für seine Stadt und ihre Bürger bis zum Äußersten einsetzte. Nicht von ungefähr gab der frühere Leiter des Stadtarchivs Stuttgart, Paul Sauer, seiner 2001 erschienen Biographie den Titel „Arnulf Klett – Ein Leben für Stuttgart“.