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Landeshauptstadt Stuttgart

Veranstaltung

Feierstunde zum Tag der Deutschen Einheit im Stuttgarter Rathaus

OB Nopper: „Entscheidend ist nicht die Herkunft, entscheidend ist die Haltung.“ – Festredner Wolfgang Schäuble: „Der engen vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika verdanken wir viel und sind auch zukünftig darauf angewiesen.“ – „Demokratie funktioniert nicht als Supermarkt.“

Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper dankte Bundestagspräsident a.D. Dr. Wolfgang Schäuble, MdB, für die Festrede zum Tag der Deutschen Einheit.

Stuttgarts Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper hat auch in diesem Jahr am Tag der Deutschen Einheit zu einer Feierstunde ins Stuttgarter Rathaus eingeladen. Der Einladung folgten rund 320 Gäste u. a. aus der Kommunalpolitik und dem Konsularischen Corps, Vertreter der in Stuttgart stationierten US-Militärs sowie Gäste aus Justiz, Wirtschaftsverbänden und Kultur. Festredner war der ehemalige Bundestagspräsident und baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Dr. Wolfgang Schäuble, der direkt aus Erfurt von der zentralen Feier und dem Empfang des Bundespräsidenten zum Tag der Deutschen Einheit kam.

In seiner Begrüßung betonte OB Nopper, die Farben Schwarz-Rot-Gold seien verbindende Farben: „die Farben der Alteingesessenen und Neuhinzugekommenen, die Farben aller, die sich zu unseren gemeinsamen Werten bekennen. Entscheidend ist nicht die Herkunft, entscheidend ist die Haltung.“ Einen profilierteren Festredner und Zeitzeugen als Wolfgang Schäuble hätte die Landeshauptstadt zum Tag der Deutschen Einheit gar nicht finden können, sagte Nopper. „Wolfgang Schäuble gehört seit dem Jahr 1972 und damit seit 50 Jahren ununterbrochen dem Deutschen Bundestag an – immer als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Offenburg. Er ist der dienstälteste Abgeordnete in der 177 Jahre alten deutschen Parlamentsgeschichte und damit seit Zusammentritt des Parlaments in der Frankfurter Paulskirche im Jahr 1848.“ Der frühere Bundesminister und Bundestagspräsident Schäuble war auch Chefverhandler des deutschen Einigungsvertrags.

Erinnerung an Michail Gorbatschow

In seiner sehr persönlichen Rede erinnerte Schäuble eingangs an den am 30. August verstorbenen Michail Gorbatschow. „Für Russland und die Sowjetunion war er ein tragisch Gescheiterter. Aber wir Deutschen und wir Europäer verdanken ihm einen der glücklichsten Momente, wenn nicht den glücklichsten Moment unserer jüngeren Geschichte. Mit dem 9. November und mit Michail Gorbatschow wurde der 3. Oktober zu diesem Ereignis, das wir heute zu Recht feiern.“ Schäuble positionierte sich klar gegen die im Nachhinein immer wieder geäußerte Kritik, die deutsche Einheit sei zu schnell gekommen. „Man kann Entscheidungen nur aus der Perspektive ihrer Zeit beurteilen.“ Zur schnellen Einheit hätte es keine Alternative gegeben. „Sonst wäre die DDR leergelaufen.“

Überfall Putins auf die Ukraine

Dann sprang Schäuble hinüber in die Gegenwart. „Jetzt haben wir angeblich schon wieder alles falsch gemacht, seit dem 24. Februar, dem Überfall von Putin auf die Ukraine und dem Krieg, der sich nicht nur gegen die Ukraine, sondern gegen unsere westliche Werteordnung wendet. Man hätte früher ernst nehmen können, was Putin gesagt hat. Er hat gesagt, der Zerfall der Sowjetunion sei die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts und er werde alles tun, um sie rückgängig zu machen.“ Nur wenige Politiker, so Schäuble weiter, hätten Putin früh beim Wort genommen. „Der damalige polnische Staatspräsident Lech Kaczyński hat nach dem Überfall Russlands auf Georgien gesagt: Erst Georgien, dann die Ukraine, dann Moldawien, dann die Baltischen Staaten, dann Polen. Der Bündnisgrüne Werner Schulz hat bei der Rede Putins 2001 im Reichstag unter Protest den Saal verlassen und gesagt: ‚Merkt Ihr nicht, das ist das alte imperialistische Gerede Russlands.‘ Aber die meisten“, so Schäuble weiter, „haben nicht darauf gehört. Wir hätten es wissen können. Den besten Satz hat die frühere Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer gesagt: ‚Ich bin so wütend auf uns! Wir haben alles gewusst und wir wollten es nicht sehen.‘ Und der Satz ist so wahr.“

Historische Besserwisserei helfe nicht, stellte Schäuble klar. Doch zumindest müsse man aus Erfahrungen lernen. Das heiße für ihn in Bezug auf Russland: „Wir wollen nicht nur die Bereitschaft zur Partnerschaft, wir wollen mit Russland zusammenarbeiten. Russland bleibt ein wichtiger Teil Europas. Aber wenn Russland die Grundregeln nicht akzeptiert – dass man nicht mit militärischer Gewalt Grenzen verändert, dass man nicht mit Gewalt Völker unterjocht – dann müssen wir jetzt wenigstens eine glaubwürdige Abschreckung aufbauen. Das geht nicht ohne die Vereinigten Staaten von Amerika.“ Die seien die einzige Abschreckungsmacht, die Putin ernst nehme, stellte Schäuble klar. „Der engen vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika verdanken wir viel und sind auch zukünftig darauf angewiesen.“

Rund 320 Gäste nahmen an der Feierstunde zum Tag der Deutschen Einheit teil.

In Europa muss Deutschland laut Schäuble eine Führungsrolle übernehmen. „Wir sind immer noch das wirtschaftlich stärkste Land. Wir müssen die alten und die neuen Mitglieder zusammenführen. Und wir müssen dafür sorgen, dass die Staaten in Osteuropa sich auf Augenhöhe wahrgenommen fühlen.“ Auch das sei eine Lehre aus der deutschen Wiedervereinigung und dem Umgang mit den neuen Bundesländern.

Abschließend äußerte sich Schäuble noch zur Krise der Demokratie. „Demokratie funktioniert nicht als Supermarkt mit Angeboten, wo die Schnäppchenjäger sich bedienen, sondern Demokratie ist – wie es der Stuttgarter Felix Heidenreich gerade geschrieben hat – eine Zumutung für die Bürgerpflicht. Die Stabilität unserer Demokratie hängt davon ab, dass jede und jeder seine Verantwortung für die Demokratie ernst nimmt.“ Auch deshalb, so Schäuble, solle man nicht nur über einen Freiwilligendienst der jungen Generation diskutieren. Genauso gut könne sich die ältere Generation in den Dienst der Allgemeinheit stellen, „zehn oder 20 Stunden pro Woche“, um dort zu helfen, wo es nötig sei: in Kindertagesstätten oder bei der Tafel – es gebe 100.000 Möglichkeiten.

Abschließend sagte Schäuble: „Unser Leben wird dann erfüllt, wenn wir uns um unsere Aufgaben kümmern. Und deswegen finde ich, sollten wir am Tag der Deutschen Einheit an unsere Aufgaben erinnern.“

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