„Klack“. Im Gleichschritt springen die Zeiger von sechs Zifferblättern voran. Das Geräusch beweist Hans Peter Kuban und Hartmut Kercher, dass sie erreicht haben, worauf sie drei Jahre lang hingearbeitet haben: Sie haben die alte Zentraluhr der Stadt Stuttgart wieder zum Laufen gebracht.
Von 1931 bis 1981 war die Uhr der Taktgeber für die Stadt. Fast 3000 Uhren wurden von ihr mit der richtigen Zeit versorgt. In alle Himmelsrichtungen führten Kabel vom Rathaus zu Uhren in Kirchtürmen, Straßenbahn-Haltestellen, Feuerwachen und Behörden, nach denen wiederum zahlreiche Stuttgarter ihre Armband- und Taschenuhren gestellt haben. Auch die Zeit für das Pausenklingeln in den Schulen hat die Zentraluhr übermittelt. Im Keller des Rathauses überstand sie sogar die Bombardierung im Zweiten Weltkrieg. 1981 ging sie außer Dienst. Funkuhren übernahmen ihre Aufgabe. Erst Jahre später sollte es wieder „Klack“ machen.
Dauerleihgabe der Stadt
Zu verdanken ist das Hans Peter Kuban. In einem denkmalgeschützten Bunker in Steinhaldenfeld hat der gelernte Kaufmann und gebürtige Cannstatter mehr als 80 Turmuhren aus ganz Deutschland gesammelt, sowie weitere, auch lokale Schätze, wie die Originalzeiger der alten Cannstatter Rathausuhr.
Die Zentraluhr gehört seit 2004 dazu. Damals erfuhr Kuban, dass die Uhr noch im Rathaus steht. Wenig später konnte er sie abbauen, verladen und in sein Turmuhrenmagazin bringen. „Eine Woche habe ich gebraucht, um alle Teile zusammenzusuchen und mich mit der Uhr vertraut zu machen“, erinnert er sich. Transportiert haben sie sie zu fünft.
Die Uhr war und ist Eigentum der Stadt Stuttgart, aber eine Dauerleihgabe an Kubans Uhrenmagazin. Dass er sie wieder zum Laufen bringen könnte, hatte der heute 83-Jährige lange nicht gedacht. Bis er Hilfe von Hartmut Kercher bekam. Der 72-Jährige ist wie Kuban ehrenamtlich im Fernmeldemuseum aktiv. Von 2019 bis 2022 haben sich die beiden immer mittwochs getroffen, um an der Uhr zu arbeiten. Das hat, neben technischem Verständnis und handwerklichem Können, jede Menge Geduld erfordert. Sowie oft eine dicke Jacke. Denn im Bunker – übrigens ein Bauwerk von Paul Bonatz aus dem Jahr 1941 – wird es im Winter ziemlich kalt.
Die Zentraluhr ist ein beeindruckendes Stück Technik, geschaffen von der Firma Wagner aus Wiesbaden. Links und rechts an der Frontseite sind zwei Pendeluhren zu sehen, die an klassische Standuhren erinnern, die Hauptuhr und die Ersatzuhr. Dazwischen die Schalttafel aus weißem Marmor, in die sechs Zifferblätter eingearbeitet sind. Unter den Zifferblättern viele Hebel, Lichter und Knöpfe, mit denen der Betrieb der Uhr kontrolliert und bei Störungen eingegriffen werden konnte.
Im Inneren der Zentraluhr
Hinter ihrer Frontseite hat die Uhr ein begehbares Inneres. Hier gibt es nicht nur für Technikfreunde jede Menge zu entdecken: Spulen, Schalter und zahlreiche Kabel. Dort steht auch das Empfangsgerät, über das die Uhr die exakte Zeit zugesendet bekam. Darauf ein Handtuch mit der Aufschrift „Stadt Stuttgart 1981“ – da ging die Uhr außer Dienst.
Das Signal für die Stuttgarter Zentraluhr kam von Radio Beromünster, vom Observatorium Neuenburg in der Schweiz. Nicht, weil dort die Uhren genauer gingen, sondern, ganz schwäbisch, aus Kostengründen. Nur zwei D-Mark, die Gebühr für ein Rundfunkgerät, kostete das die Stadt, wie die „Botnanger Rundschau“ 1956 vorrechnete. Die exakte Zeit bei Bundesbahn oder Bundespost zu kaufen, wäre deutlich teurer geworden.
Jeden Tag um 12.30 Uhr sendete Radio Beromünster die exakte Zeitangabe als Radioimpuls. Der kam im Empfangsgerät der Zentraluhr an und wurde auf eine Relaisapparatur weitergeleitet. Die Schalter glichen die Zeit aus der Schweiz mit dem ab, was die Zentraluhr gerade anzeigte. Je nachdem, ob die Uhr dem Signal voraus oder hinterher war, verkleinerte oder vergrößerte das Relais die Schwingungszeit des Pendels der Hauptuhr. So konnte die Differenz im Verlauf der nächsten 24 Stunden ausgeglichen werden. Da ging es aber nicht um Minuten, sondern maximal um eine Sekunde, eher um Zehntelsekunden.
Gewacht darüber hat Uhrenwart Richard Eppler, Werkmeister der Technischen Werke Stuttgart. Eppler hat die Steuerung, mit der die Uhr mit dem Sender verknüpft ist, selbst entwickelt und wollte sie sogar zum Patent anmelden. Im Alltag war er damit beschäftigt, die Zentraluhr am Laufen zu halten. Denn bei einer komplizierten Apparatur hakt es doch immer mal.
Das merkten auch Kuban und Kercher. Vieles an der Uhr hat nicht mehr funktioniert, Ersatzteile waren schwer zu beschaffen. Teilweise mussten sie neue Lösungen finden. So sendet etwa Radio Beromünster seit Jahren nicht mehr. „Wir haben dann einen Funkempfänger an der Wand des Bunkers festgemacht“, erzählt Kuban.
Ebenfalls ein Problem war die Kälte im Bunker. Die Thermorelais im Inneren der Uhr waren an eine gleichbleibende Temperatur gewöhnt. Dank Kerchers Konstruktionskünsten gelang es, einen Schaltkasten einzusetzen, der die Thermorelais ersetzen konnte. Kercher hat sich viel mit der Technik der Uhr beschäftigt, einen ganzen Leitz-Ordner voller selbst gezeichneter Pläne zur Zentraluhr kann er vorweisen.
„Das muss jetzt klappen“
Auch banalere Probleme türmten sich auf. So waren die kleinen Ketten der Pendeluhren total verknotet, sagt Hartmut Kercher und seufzt beim Gedanken daran. „Natürlich gab es Rückschläge“, räumt Hans Peter Kuban ein. Ihre Reaktion jedoch sei immer gleich gewesen, ergänzt Kercher: „Das muss klappen. Das muss jetzt.“ Es hat geklappt. „Klack“.
Ein Besuch im Uhrenbunker
Das Turmuhrenmagazin im Bunker in Steinhaldenfeld, Kolpingstraße 90, kann im Rahmen einer Führung in Gruppen ab fünf Personen besucht werden. Führungen sind möglich in der Zeit von 16. März bis 30. November. Eine telefonische Terminvereinbarung mit Hans Peter Kuban ist erforderlich.