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Stuttgarter Philharmoniker in Luftblasen

„Social Distance Stacks > work in progress“ hat Florian Mehnert sein Projekt zur allgegenwärtige Situation des Abstands in der Corona-Pandemie genannt. Dabei lässt der Künstler Menschen in transparente PVC-Luftblasen steigen, um sie zu fotografieren. Zum Beispiel 13 Musiker der Stuttgarter Philharmoniker.

In ihren Blasen spielen die 13 Philharmoniker, der Künstler Florian Mehnert dirigiert das Ensemble von der Kamera aus. Auch akustisch ist der Auftritt ein Erlebnis.

„Vergangene Woche wurden wir gefragt, ob wir bei einem Projekt von Florian Mehnert mitmachen würden“, erzählt der Musikdramaturg der Stuttgarter Philharmoniker Albrecht Dürr. Lange bitten ließen sich die Orchestermitglieder nicht. „Ratzfatz hatten wir die gewünschte Zahl beisammen“

Und am frühen Nachmittag des 12. November ist es im Gustav-Siegle-Haus dann so weit. Auf dem Boden des Foyers liegen 13 schrumpelige Hüllen aus PVC. Florian Mehnert hat sein Stativ auf der Treppe aufgebaut, die Kamera genau eingestellt. Den Ausschnitt kontrolliert er auf dem Monitor seines Laptops. Nach und nach kommen die Musikerinnen und Musiker mit Maske und ihren Instrumenten – Violinen und Oboen, Querflöte und Horn. „Besonders den Cellisten muss geholfen werden“, ruft der Künstler seinem Team zu.

Im Schneidersitz wartet der Musiker mit der Querflöte, bis das dröhnende Gebläse für mehr Platz in PVC-Kugel gesorgt hat.

Alle nehmen ihre Plätze ein, jeder weiß, was jetzt auf ihn zukommt. Dann geht‘s los. Die Musiker steigen jeweils in ihre Hülle, kauern am Boden, bis sie sich mit Frischluft zu einem prallen Ball von zwei Metern Durchmesser gefüllt hat. Die Gebläse brauchen dafür acht Minuten und machen ordentlich Krach. Aber dann sind die Bälle kugelrund, glänzen und spiegeln die Lichter. Mindestens eine halbe Stunde könnte man es darin gut aushalten. Mehnert will in 15 Minuten fertig sein. 

„Tut so, als ob ihr miteinander musiziert“, ruft er den Eingeschlossenen zu. Es klingt zuerst wie beim Einspielen vor dem Konzert, dann wird daraus ein Zusammenspiel mit einem ganz eigenen Charme. Der Künstler macht eine erste Fotoserie. Die tönenden Blasen bewegen sich sanft hin und her, die Violine neigt sich dem Cello zu. Ein unwirkliches Bild, wie in einem Traum. „Sehr schön“ murmelt Mehnert.

Beim Aussteigen hilft Florian Mehnert dem Cellisten, der es mit seinem großen Instrument und Stuhl nicht so leicht hat.

Aber ganz zufrieden ist er noch nicht. „Das Zuneigen kann ruhig theatralischer sein“, ermuntert er die Akteure und macht vor, was er meint: „wie so Engelchen“. Eine zweite und dritte Serie folgen, nur kurz unterbrochen von kleinen Korrekturen. „Das sieht so lustig aus.“ Dann hat er genug Bilder, ruft vier seiner Helfer herein, damit sie die Reißverschlüsse öffnen und beim Aussteigen helfen. Das geht alles wieder ratzfatz. Den Musikern hat der ungewöhnliche Einsatz offensichtlich Spaß gemacht. Alle verabschieden sich lachend von Mehnert. Der Künstler verspricht, Fotos zu schicken. Im Nu ist das Foyer leer – nur 13 schrumpelige Hüllen liegen noch auf dem Boden. Und Albrecht Dürr ist froh, dass alles so gut geklappt hat.

Auf den prekären Verlust aufmerksam machen

Das Echo in den Medien ist großartig. Damit wird auch das Anliegen von Mehnert geteilt. Sein Projekt „Social Distance Stacks“ (Stack kann hier Stapel oder Ansammlung bedeuten, der Titel sollte seiner Ansicht nach aber nicht übersetzt werden) wird vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst gefördert. „Die live aufgeführte, gespielte Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil unserer Kultur. In Corona-Lockdown-Zeiten ist das Aufführen nicht mehr möglich. Es lag für mich nahe, Musiker in Blasen spielen zu lassen, um auf den prekären Verlust der Live-Aufführung aufmerksam zu machen, um den Diskurs über die essenzielle Arbeit der Musiker anzustoßen“, erklärt der 50-jährige Künstler. „Meine 

Fotografie erzählt natürlich eine Paradoxie. Das Orchester, jeder Musiker in jeweils seiner eigenen Luftblase, versucht auch in Corona-Zeiten weiter für sein Publikum zu musizieren. Lustig, aber sehr traurig zugleich.“

Weitere Informationen

Was aus dem Projekt „Social Distance Stack Stuttgarter Philharmoniker“ weiter entsteht, ist noch offen. Vielleicht werden die Bilder in einer Ausstellung zu sehen sein. Ein Blick auf  www.florianmehnert.de (Öffnet in einem neuen Tab) lohnt sich auf jeden Fall. Dort ist ein „Making-of“-Video von der beeindruckenden Aktion zu sehen.

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Bildnachweise

  • Franziska Kraufmann/Stadt Stuttgart
  • Franziska Kraufmann/Stadt Stuttgart
  • Franziska Kraufmann/Stadt Stuttgart