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Landeshauptstadt Stuttgart

Entsorgung

Ein unterirdischer Streifzug mit der Stadtentwässerung

Jeweils einmal im Monat in der Zeit von März bis Juli sowie im Oktober und November geben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtentwässerung öffentliche Führungen zum städtischen Abwasserkanal. Dabei ermöglichen sie den Teilnehmenden einen spannenden Einblick in Stuttgarts ansonsten verborgene Unterwelt.

Nach vorheriger Anmeldung dauern die öffentlichen Führungen rund eine Stunde und sind nur in Schutzbekleidung möglich.

Oben streift die Brise über Halme und Blüten im Schlossgarten, doch ein Hauch von Unterwelt lässt sich schon erahnen. Gleich neben der Haltestelle Neckartor mit ihren aus dem Boden geschraubten Betonkurven verbirgt sich ein Abgang, meist unscheinbar verschlossen von einer Schachtabdeckung, die vielen Passanten gar nicht auffallen dürfte.

Wer an einer Führung der Stadtentwässerung teilnimmt, den erwartet eine Stadtansicht jenseits von Hochglanz, verborgen und zugleich allgegenwärtig, in jedem Fall elementar für das Zusammenleben Hunderttausender Menschen. Dass es in Stuttgart eine der ersten Kanalisationen gab, ist auch dem englischen Ingenieur Joseph Gordon zu verdanken, der die Pläne 1874 nach Vorbild des Londoner Entwässerungssystems anfertigte.

Ein 1.700 Kilometer langes Tunnelnetz

Mehr als 150 Jahre ist das her, die Bevölkerung gewachsen, die Anforderungen sind gestiegen. Dank regelmäßiger Investitionen ins Kanalnetz, Ausbauten und Wartung mit automatisierten Hightech‐Geräten fließt das Abwasser störungsfrei durch 1700 Kilometer lange Abwassertunnel in eines der vier Klärwerke. Allein durch den Hauptsammler Nesenbach schießen bis zu 700 Liter pro Sekunde, bei Starkregen auch mal die 200fache Menge.

Die zu ergründen, machen sich die von Helm bis Gummistiefel in weiße Einwegoveralls gekleideten und behandschuhten Expeditionsteilnehmer auf den Weg nach unten. Die Stirnlampe angeknipst, den Handlauf nicht loslassend klingt die Mahnung von Joachim Trüg, Ingenieur beim Tiefbauamt und der heutige Guide, nach: Die hohe Fließgeschwindigkeit des Nesenbachs und der rutschige Untergrund machen jede Rettung schwierig, also bloß nicht reinfallen.

Bei Starkregen wird es schnell gefährlich

Joachim Trüg führt die Teilnehmenden durch den Nesenbachkanal.

Entsprechend respektvoll tastet sich der Tross in Fließrichtung vor, in sicherem Abstand zu dem vielleicht einen Meter breiten braunen Strom, der bei starkem Regen schnell mal den kompletten Querschnitt des Abwasserkanals ausfüllen kann. Die Mitarbeiter des Kanalbetriebs haben deswegen immer das Funkgerät griffbereit, damit die Kollegen sie bei kurzfristigem Wetterwechsel warnen können. Regnet es auf den Fildern, bleibt am Neckartor vielleicht eine Viertelstunde Zeit, um wieder ans Tageslicht zu kommen, bevor die Röhre geflutet wird.

Die Erinnerung an den blauen Himmel über dem Schlossgarten ist den heutigen Besuchern noch greifbar. Ihre Vorsicht gilt daher eher dem rutschigen Untergrund: Fette lagern sich auf den Wegen ab, die wie aller Unrat mitgeschwemmt werden, weshalb auch hier unten regelmäßig gereinigt wird. Allenthalben zeugen Feuchttücher auf Augenhöhe von vergangenen Wasserständen; meist sind sie nicht zersetzbar und Gift für die Pumpen im Abwassersystem.

Genügend Abwasser, um das Stadion zu füllen

Was immer in Toiletten gespült wird, durchs Duschsieb rinnt, von Waschstraßen abfließt, in Rinnstein und Gullydeckeln versickert, landet früher oder später in der Stuttgarter Unterwelt und rauscht einheitsbraun, angereichert mit entsprechenden Gerüchen, Richtung Reinigungsanlage. Allein im Hauptklärwerk Mühlhausen bereitet die Stadtentwässerung Stuttgart SES, die zum Tiefbauamt gehört, jeden Tag 190 000 Kubikmeter Abwasser auf. Mal zum Vergleich: das würde das Stadion des VfB Stuttgart vom Volumen her bis zur Oberkante der Tribüne fluten.

Licht am Ende des Schachts und des einstündigen Rundgangs

Abwasser nicht zu vermüllen ist daher nur ein Teil der Aufgabe für alle, die gerne mal Essensreste oder Medikamente über die Toilette entsorgen oder Unrat in den Gully schnippen. Ebenso wichtig ist es, Abwasser zu vermeiden, was in neu geplanten Stadtvierteln gleich mitgedacht wird. Stichwort Schwammstadt: Viel mehr Regen kann im Erdreich versickern.

Die letzte Etappe führt die Ausflügler geduckt durch ein weiteres Kanalrohr, den Kopf auf Schulterhöhe, in eine kleine Halle. Über ihnen erscheint das Licht am Ende des Einstiegsschachts, Graswurzeln und frische Brise vielleicht zehn Höhenmeter über den Köpfen. Wer sich gegurtet und gesichert an den Aufstieg traut, kann von hier die senkrechte Leiter hochkraxeln.

Der Rest atmet noch mal tief durch und macht sich an den Rückweg auf gleicher Strecke, den Handlauf im Griff, bis der Treppenaufgang sie nach einer knappen Stunde wieder in den Tag entlässt.

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Bildnachweise

  • Foto: Dominik Thewes, Rechte: LHS
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  • Zwei Mitarbeiter der Stadtentwässerung inszipieren die Kanalisation | www.michaelfuchs‐fotografie.de / SES
  • www.michaelfuchs‐fotografie.de, Klärwerk Mühlhausen