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Landeshauptstadt Stuttgart

Migration

Wie Integration gelingt: "Bildung ist ein goldenes Armband"

Welche Herausforderungen prägen derzeit die Integrationspolitik in Stuttgart? Darüber spricht Ayşe Özbabacan, die seit April die Abteilung Integrationspolitik leitet und Stuttgarts neue Integrationsbeauftragte ist. Sie studierte Jura und Europastudien und ist seit 2006 bei der Stadt Stuttgart beschäftigt.

Fokussiert: Ayşe Özbabacan setzt sich ein für das Zusammenleben in Stuttgart.

Die ersten 100 Tage in ihrer neuen Funktion sind vorbei Frau Özbabacan – welches Ereignis fällt Ihnen spontan ein, das besonders im Gedächtnis blieb?

Ayşe Özbabacan: Am 8. Mai haben wir den ersten Preis in der Kategorie Kommune des Landes Baden-Württemberg für das städtische Empowerment-Programm von und für Geflüchtete bekommen. Mit dem Programm werden Menschen bestärkt und ermutigt, ihre Kompetenzen, Talente, Fähigkeiten zu nutzen, um ihre Integration selbst in die Hand zu nehmen, aber sich natürlich auch in die Gesellschaft einzubringen und diese mitzugestalten. Das Programm existiert seit acht Jahren. Ich habe das damals mitaufgebaut. Mittlerweile gibt es über 150 Empowerment-Projekte. Es ist schön zu sehen, dass diese langjährige Arbeit jetzt auch vom Land als innovativer Ansatz gewürdigt wurde und dass wir den Preis bekommen haben mit 3000 Euro Preisgeld.

Menschen aus 185 Nationen leben in Stuttgart friedlich miteinander. Das ist nicht selbstverständlich, denn die sozialen Spannungen nehmen zu. Ist ein „Weiter so“ genug, oder braucht es neue Konzepte, um diesen gesellschaftlichen Konsens zu halten?

Özbabacan: Da würde ich gerne noch einmal etwas zurückgehen. Seit fast 25 Jahren haben wir ja das Bündnis für Integration, ein Bündnis aus Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft. Das funktioniert in Stuttgart bis heute. Es gab schon immer zwei große Zuwanderungs-Gruppen, Fachkräfte, die unseren Arbeitsmarkt unterstützen und Menschen, die aufgrund von Flucht vor Krieg, Verfolgung oder anderer Krisen ihre Heimat verlassen und bei uns Schutz suchen, um ein neues Leben aufzubauen. Die Fachkräfte und Arbeitskräfte kommen aus der ganzen Welt und insbesondere Südosteuropa. Sie halten unsere Wirtschaft am Laufen und kommen mit ihren Familien weiterhin nach Stuttgart, weil es ein guter Ort zum Arbeiten und Leben ist. Sei 2015 haben wir aber eine verstärkte Zuwanderung aus humanitären Gründen. Die Fluchtzuwanderung aus der Ukraine war 2022 der Schwerpunkt. Aktuell kommen Asylsuchende in vergleichsweise geringer Zahl nach Deutschland. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, die Integration und Teilhabe dieser Menschen gut zu gestalten, damit sie eine Chance haben, sich in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt zu etablieren als künftige Fachkräfte, die wir für unsere Wirtschaft brauchen.

Wahrgenommen wird aktuell eher eine Belastung als Entlastung durch die Zuwanderung.

Özbabacan: Die sozialen Spannungen sind auch in Stuttgart zu spüren. Die Akzeptanz für Migration schwindet bei einem Teil der Gesellschaft. Die Menschen sind verunsichert, sorgen sich um Arbeitsplätze und soziale Ressourcen, sie haben Zukunftsängste; das müssen wir ernst nehmen. Umso wichtiger ist es, das Bündnis für Integration und damit auch unsere Demokratie zu stärken. Ein „Weiter so" gibt es nicht. Wir reagieren auf gesellschaftliche Veränderungen durch Migration. Wir reagieren auf aktuelle Herausforderungen, schauen, wo sind die Bedarfe, was brauchen die Menschen um hier gut anzukommen, sich in die Gesellschaft einzubringen. Also nicht weiter so, sondern wir entwickeln unser Stuttgarter Bündnis für Integration immer weiter.

Gibt es auch Grenzen der Belastbarkeit? Thema Unterbringung von Geflüchteten.

Özbabacan: Wenn wir die Menschen gut und menschenwürdig unterbringen wollen, schaffen wir das nicht. Dazu hat sich auch der Städtetag schon vor einiger Zeit positioniert. Das betrifft aber vor allem die Unterbringung der Menschen. Wir haben Standards, und die können wir auf Dauer nicht mehr halten. Aber das ist kein Stuttgarter Problem, sondern ein bundesweites. Wir brauchen ein gesteuertes Asylsystem in der EU.

Sprache ist der Schlüssel zu allem. Können sie von der Integrationsabteilung konkret tätig werden?

Özbabacan: Sprache ist das Tor zur Integration. Unsere Aufgabe als Abteilung ist es ein passendes Deutschförderangebot für Erwachsene bereitzustellen, von Alphabetisierungskursen bis zu Integrationskursen. Das gelingt uns dank der Zusammenarbeit mit den Sprachkursträgern und dem BAMF, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Wir müssen nur schauen, dass der Bund keine weiteren Kürzungen bei Bundesintegrationskursen vornimmt, das würde den Integrationsprozess verzögern.

Ist es schwieriger geworden, Ehrenamtliche für die Mitarbeit zu finden?

Özbabacan: Das Engagement für Integration bleibt beeindruckend hoch – mit und ohne Migrationshintergrund – aber es braucht heute mehr Rückhalt, denn Frustration und Gegenwind nehmen zu. Das hat mit der politischen Stimmung, aber auch mit der Bürokratie und der Überlastung von Verwaltungseinheiten zu tun. Gerade deshalb ist es wichtig, den Engagierten Anerkennung, konkrete Unterstützung und gute Rahmenbedingungen zu bieten. Für unsere Arbeit bedeutet das, Integration als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu stärken, gelingende Beispiele sichtbarer zu machen und auch über ungemütliche Themen zu sprechen.

Wenn sie jetzt zurückdenken an ihre eigene Migrationsgeschichte – sie kamen mit sechs Jahren erst aus der Türkei nach Deutschland – kann man das vergleichen mit heute ?

Özbabacan: Es war anders. Es war eine andere Zeit. Es war in den 80er-Jahren. Es gab keine Integrationsangebote und kein Sprachförderprogramm. Aber es war eine andere Motivation. Meine Eltern haben uns Kinder sehr unterstützt. Bildung ist ein goldenes Armband – das ist ein türkisches Sprichwort. Du hast die Möglichkeiten eine gute Bildung zu genießen, wenn du dich anstrengst und fleißig bist wie die Schwaben, hieß es zuhause. Und es waren einzelne Personen, die mich unterstützt haben. Es waren meine Lehrer. Man braucht Menschen, die einen an die Hand nehmen. Deshalb ist auch das Ehrenamt Gold wert.

Stuttgart als Stadt der vielen Kulturen will das auch sichtbar machen in einem „Haus der Kulturen“. Die Planungen laufen. Was ist Ihnen als Integrationsbeauftragter daran wichtig?

Özbabacan: Fast die Hälfte der Stuttgarter Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund und es wäre gut, wenn wir das sichtbar machen könnten. Es soll ein Haus für alle werden, an dem auch Menschen mit Migrationshintergrund Programm machen. Wir haben einen Schatz an Weltwissen in dieser Stadt. Wichtig ist, dieses Wissen für unsere Stadt zu nutzen. Und es ist mir wichtig, dieses Haus bald in unserer Stadt zu haben. Aktuell wird das Konzept im Projektlabor Connect0711 erprobt. Im Moment haben wir dazu keinen Raum, aber hoffen, im Herbst in der Eberhardstraße dazu Räume zu bekommen.

Frau Özbabacan – die ersten hundert Tage sind vorbei. Was steht jetzt noch für dieses Jahr an Projekten an?

Özbabacan: Verstärkte Zusammenarbeit mit Stadtbezirken, die Eröffnung des Projektlabors Haus der Kulturen in der Eberhardstraße 63 und dann feiern wir mehrere Jubiläen im Herbst: 20 Jahre Zuwanderungsgesetz, Integrationskurse, Migrationsberatung für Erwachsene, Clearingstelle sprachliche Integration und 30 Jahre Fachstelle Migration. Und das alles feiern wir mit einem großen Fest.

Das Interview führte Martina Klein, Amtsblatt-Redaktion

Zur Person

Ayşe Özbabacan arbeitet seit 2006 bei der Stadt Stuttgart in der Abteilung Integrationspolitik. Bis 2012 hat sie ein Netzwerk von 30 europäischen Städten zur lokalen Integrationspolitik koordiniert und war Bosch-Fellow am German Marshall Fund in den USA. Seit 2019 war sie stellvertretende Abteilungsleiterin. Im April 2025 übernahm sie die Leitung der Abteilung Integrationspolitik von Gari Pavkovic.

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